Präkolumbianische Kultstätten, koloniale Grandezza und umwerfende Naturkulissen – die südlichen Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas bündeln Mexiko wie im Brennglas.
Seltsam sehen sie aus, diese Figuren auf den steinernen Reliefplatten von Monte Albán. Denn negroid wulstige Lippen, knubbelige Nasen, schwere Augenlider und manchmal sogar Bärte entsprechen so ganz und gar nicht dem gängigen Bild der vorkolonialen Bewohner Mexikos. Überdies sind die Gestalten dargestellt in eigentümlich verrenkten Posen, die gemeinhin als Tanz interpretiert werden. Es könnte sich aber auch um Opfer oder gar Tote handeln – ganz sicher sind sich die Experten nicht. Wie bei so vielem, wenn es um die uralte und noch immer rätselhafte Hochkultur der Zapoteken geht.
Völlig klar aber ist: Monte Albán ist eine der ältesten, bedeutendsten und in ihrer symmetrischen Harmonie zweifelsfrei auch schönsten Kultstätten Mesoamerikas. Reichlich tausend Jahre, bevor Hernán Cortés dem Reich der Azteken mit List, Tücke und Donnerbüchsen den Garaus machte, kappten die grandiosen Zapoteken - Baumeister zunächst die komplette Kuppe des „Weißen Berges“ und bauten auf dem nun platten Plateau über den Wolken ein prächtiges Zeremonialzentrum. Mit Pyramiden, Tempeln und Palästen für ihre Götter, Könige und Priester. Zur Blütezeit der Stadt – zwischen 500 und 800 n. Chr. – lebten 25.000 Menschen in der luftigen Höhe von Monte Albán. Und das, obwohl jeder Tropfen Wasser mühselig in Krügen den Berg hinauf geschleppt werden musste.
Ganze 12 Kilometer sind es von dieser Top - Attraktion mit der tollen Aussicht bis nach Oaxaca, die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates. Eine urbane Perle, deren spezieller Charme in der Mischung aus indianischen Traditionen und kolonialer Pracht besteht. Ein ganzjährig frühlingshaftes Klima und eine im Vergleich zu anderen mexikanischen Städten beschauliche Gangart des Lebens steigern zusätzlich die Attraktivität der Stadt.
Ihre Besucher sollten sich deshalb durchaus ein paar Tage Zeit nehmen: für Monte Albán und Mitla, die Totenstadt der Mixteken mit ihren irren geometrischen Ornamenten. Für Bilderbuch - Kirchen wie La Soledad und Santo Domingo, die zu den bedeutendsten ganz Mexikos zählen. Für den Mixtekenschatz aus einem Grab auf dem Monte Albán mit Exponaten aus Gold, Silber und Jade. Für Benito Juárez, den großen Zapoteken - Sohn der Stadt, der Mitte des 19. Jahrhunderts als bisher einziger Indio Präsident wurde und als mexikanischer Abraham Lincoln höchste Wertschätzung genießt.
Und nicht zuletzt natürlich für die Atmosphäre. Denn selbstverständlich brodelt auch in Oaxaca das Leben mit einer für Mitteleuropäer ungewohnten Lautstärke und Energie. Vor allem abends, wenn sich alle Welt am Zócalo trifft, dem zentralen Platz jeder hiesigen Stadt. Von schmiedeeisernen Bänken unter mächtigen Lorbeerbäumen und aus Straßencafés unter den umliegenden Arkadengängen lässt sich dann das bunte Gewusel perfekt beobachten: Straßenhändler, Garköche, Schuhputzer, Artisten, Tänzer und Musikkapellen, die auf der Rundbühne ihre Schmachtfetzen in den lauen Himmel tröten, sorgen für eine unbeschwerte, heitere Stimmung bis tief in die Nacht.
Eine Tagesreise weiter gen Osten zeigt der Bundesstaat Chiapas zunächst ein landschaftlich spektakuläres Gesicht: den Sumidero - Cañon. Eine Schlucht, tief ausgefräst vom Rio Grijalva, der – von mehreren Staumauern gebändigt – nicht nur jede Menge Strom liefert, sondern auch ein touristisches Erlebnis der Extraklasse.
Mit schnittigen Wasserflitzern nämlich geht es auf Spritz - Tour durch eine Welt extrem steiler Felswände, die bis zu tausend Meter hoch aufragen und bisweilen dramatisch in den Fluss zu stürzen drohen. Alte Geschichten erzählen, dass einst manch von den Spaniern in die Enge getriebene Indianer der Versklavung oder dem grausamen Tod ein blitzschnelles Ende vorzog – durch den Sprung in die schier bodenlose Tiefe.
Doch nicht nur damit punktet der Cañon. Raubvögel ziehen hier ungestört ihre Kreise. Leguane dösen in Bäumen. Spinnenäffchen turnen durchs Geäst. Ein Krokodil tankt Sonne auf einem Felsen. Pelikane hängen auf Zweigen ab. Reiher über Starten und Landen. Sumidero ist auch ein paradiesischer Lebensraum mit neuen Überraschungen nach jeder Flussbiegung.
Über San Cristóbal de las Casas, die ebenfalls sehr sehenswerte Hauptstadt von Chiapas geht es schließlich nach Palenque – zum größten kulturellen Schatz des Bundesstaates und einem absoluten Höhepunkt jeder Mexiko - Reise. Denn was dort in heißem und feuchtem Dschungel unter Urwaldriesen einst entstand, dann in fast tausendjährigem Dornröschenschlaf komplett überwucherte, kurz vor 1800 wiederentdeckt, seit 1940 systematisch erforscht und bis heute zu gerade mal zehn Prozent wieder freigelegt wurde, strahlt eine Faszination aus, der sich kaum jemand entziehen kann.
Palenque – das ist nicht mehr und nicht weniger als das größte und beeindruckendste Zeremonialzentrum der Maya in Mexiko. Die heute erhaltene Anlage entstand ab 642 n. Chr. unter Herrschaft des Priesterkönigs Pakal, der unfassbare 68 Jahre regierte und 683 starb. Sein Grab mit Sarkophag und prächtigen Beigaben wurde 1952 im Tempel der Inschriften entdeckt, einer Stufenpyramide, die sich auf acht Plattformen bis auf imposante 21 Meter in die Höhe streckt.
Das zweite dominierende Bauwerk ist Pakals Palast – eine prachtvolle Residenz mit Innenhöfen, Säulengängen, Passagen, Tunneln, Treppen, Terrassen und überragt von einem vierstöckigen, quadratischen Turm – so etwas gibt es nirgendwo sonst in der Maya - Architektur. Aber nicht nur die Baumeister, auch die Künstler von Palenque hatten allerhand zu tun, denn die gesamte Metropole war seinerzeit über und über mit Stuck verziert und in lebhaften Farben bemalt – vor dem Hintergrund des dunkelgrünen Regenwaldes muss das ein noch aufregenderer Anblick gewesen sein als Palenques majestätische Ruinen für die Besucher von heute.
Ein Reisebericht von Ekkehart Eichler
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