Chiwa, Buchara und Samarkand sind Usbekistans glänzendste Schmuckstücke.
Ein Mann sitzt vor dem Westtor von Chiwa. In langem Gewand, mit Turban, spitzem Bart und einem Dokument in der Hand sinniert er in überlebensgroßer Bronze über Gott und die Welt. So wie er es Zeit seines Lebens im 9. Jahrhundert getan hat. Mit bis heute überaus bedeutsamen Folgen für die Menschheit.
Zum einen nämlich führte der Mathematiker, Astronom und Geograph Muhamad Ibn al - Charizmi die indischen Ziffern inklusive der Null in seinen Kulturkreis ein, von wo aus die dann arabisch genannten Ziffern ihren Siegeszug durch ganz Europa und in alle modernen Zahlensysteme antraten. Zum zweiten war al - Charizmi nichts weniger ist als der geniale „Vater“ der Algebra und des Algorithmus - wie übrigens auch sein Name verrät.
Der Universalgelehrte stammte aus Choresmien. Einer großen Oase im heutigen Nordwesten Usbekistans, deren Hauptstadt Chiwa vom Handel an der Seidenstraße profitierte und heutzutage eines der schimmerndsten Schmuckstücke im usbekischen Schatzkästlein ist. Ein Freilichtmuseum par excellence, dessen erstklassig aufgehübschtes Antlitz überwiegend aus dem 19. Jahrhundert stammt.
Auf vergleichsweise engem Raum buhlen in Chiwas belebter Altstadt hinter dem wulstigen Mauerring eine Festung, mehrere Moscheen und Mausoleen, zwei Paläste, jede Menge Medresen und eine Karawanserei um die Aufmerksamkeit der Besucher, die sich gut und gern einen Tag lang verführen lassen sollten vom Zauber des Ensembles und seiner Einzelstücke.
Zum Beispiel Kalta Minor, das unvollendete bzw. kurze Minarett. Besonders auffällig wegen des dicken Turmstumpfes und seines Kachelschmucks: Weil es ursprünglich alle anderen Minarette im muslimischen Osten in den Schatten stellen sollte, überzogen es die Architekten mit einem geschlossenen Ornamentgürtel aus blauen, türkisfarbenen, grünen und weißen Fliesen. Fantastisch!
Oder die Zitadelle, in der die Chane von Chiwa offiziell residierten. Hier ließen sie Münzen prägen und gaben Seidenscheine heraus, die bei Bedarf sogar gewaschen werden konnten - „Geldwäsche“ mal in des Wortes reinster Bedeutung und folglich ohne verruchten Beigeschmack.
Viele Wände sind hier wie mit Tapeten komplett verkleidet mit chiwatypischen Majoliken - hellblaue geometrische und florale Ornamente auf dunklem Untergrund. Über deren Feinheiten wissen die Profis Bescheid. „Vergleichen Sie einmal Thronsaal und Sommermoschee“, geht etwa Stadtführer Jurabek ins Detail. „Im Saal dominieren unruhige Muster, weil der Chan, der hier auch Gericht hielt, partout nicht einschlafen durfte. In der Moschee hingegen strahlen die Ornamente Ruhe und Harmonie aus - hier konnte der Herrscher gern mal ein Nickerchen machen.“ Hübsche Geschichte!
„Wie baut man eigentlich ein Minarett?“, wurde Nasreddin Hodscha einst gefragt. „Nun, das ist ganz einfach“, erwiderte der orientalische Eulenspiegel: „Man bohrt einen Brunnen, und dann dreht man das Ganze einfach um.“ Das bronzene Abbild des Schalks mit seinem Esel dürfte das populärste Fotomotiv in Buchara sein. Obwohl die Konkurrenz geradezu übermächtig ist. An Anzahl wie an Qualität.
Für Bucharas Wahrzeichen etwa hätte man nach Nasreddins Version im 12. Jahrhundert verdammt lange und tief buddeln müssen: Das Kalon - Minarett ist der Traum von einem orientalischen Turm. 46 Meter hoch sowie über und über mit Ziegelmauermustern dekoriert, ziert es die gleichnamige Riesenmoschee im Zentrum des mittelalterlichen Buchara.
Die Perle an der Seidenstraße mit ihren blau schimmernden Kuppeln und glänzenden Fassaden ist aber auch berühmt für ihre bildschönen Medresen: Die Ulug´bek - Medrese zum Beispiel hat eine reichgeschmückte Hauptfront. Die Medrese Abdelaziz Chan vis - a - vis entzückt mit Märchenlandschaften im Portalmosaik, die an indische Miniaturen der Mogulzeit erinnern. Die Medrese Devon Begi bezaubert mit Paradiesvögeln über dem Portalbogen. Die Mini - Arab - Medrese wiederum komplettiert allerliebst das Kalon - Ensemble und kann als einzige nur von außen bestaunt werden – sie dient wie einst und übrigens auch zur Sowjetzeit noch heute als islamisch - geistliche Lehranstalt.
Ein Komplex aus drei Medresen hat sich sogar zu Usbekistans nationalem Symbol und zum UNESCO - Weltkulturerbe aufgeschwungen. Er thront auf dem Registan in Samarkand und darf mit Fug und Recht als Spitzenklasse - Hingucker bezeichnet werden. Als nobelsten öffentlichen Platz der Welt haben entzückte Schwärmer den Registan immer wieder gepriesen, und da ist wirklich was dran: Für einen vergleichbar überwältigenden Eindruck müssten sich auf einem europäischen Platz drei Kathedralen gegenüberstehen. Vollkommen frei und ohne Häuser drum herum.
Die älteste der drei ehemaligen Islam - Hochschulen wurde um 1420 von Ulug´bek errichtet, dem Enkel des berüchtigten Timur. Anders als sein grausamer Großvater beschäftigte sich der hochgebildete Mann mit den Wissenschaften, allen voran der Astronomie. Passend dazu wurde „seine“ Medrese mit Sternenmotiven übersät.
Die Sherdor - Medrese genau gegenüber entstand gut zwei Jahrhunderte später fast als Spiegelbild. Zumindest in der Form von Fassade und Minaretten. Einmalig hingegen sind die tigerartigen Löwen auf dem Portal, die im Bauch die Sonne tragen und weiße Antilopen jagen. Wie auch in Buchara streng genommen ein Widerspruch zum islamischen Bilderverbot, doch auch dafür haben die hiesigen Fachleute plausible Erklärungen in petto.
Ein echtes Goldstück vollendet das umwerfende Panorama - die als Schule und Moschee zuletzt erbaute Tillakori - Medrese. Die „Goldbedeckte“ verdankt ihren Namen der im Hof gelegenen Moschee, deren Innenraum fast komplett mit dem edlen Metall überzogen wurde. Ein glänzender Abschluss - im doppelten Sinn.
Ein Reisebericht von Ekkehart Eichler
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.